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EU hilft Lettland – aber Griechenland nicht

in -Letten-Forum- 07.04.2010 21:12
von anna | 4 Beiträge | 4 Punkte

Günstige Kredite
EU hilft Lettland – aber Griechenland nicht
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Von Florian Hassel 7. April 2010, 18:42 Uhr

Es scheint paradox: Nach Recherchen von WELT ONLINE greift die Europäische Union dem Nicht-Euro-Land Lettland mit billigen Krediten unter die Arme. Der Euro-Partner Griechenland muss hingegen Wucherzinsen zahlen. Kritiker geben Deutschland die Schuld daran – weil es von der Situation angeblich profitiert.

Niemand behauptet, dass Einars Repse einen einfachen Job hat: Schließlich muss der Finanzminister der baltischen Republik Lettland mitten in einer scharfen Rezession ein enormes Haushaltsdefizit beseitigen. Doch anders als sein griechischer Kollege George Papaconstantinou kann Repse nach WELT-ONLINE-Recherchen auf eins zählen: billiges Geld. Seit Lettland Ende 2008 vor dem Staatsbankrott stand, helfen Geldgeber entschlossen – vor allem europäische.
Die EU, der Internationale Währungsfonds (IWF) und weitere Geldgeber aus Europa einigten sich im Dezember 2008 auf ein Hilfspaket von 7,5 Mrd. Euro. Die Hilfe, die bis 2011 in Raten ausgezahlt wird, ist kein Pappenstiel: Sie entspricht knapp 41 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der 2,3 Millionen-Einwohner-Landes. Im Gegensatz zum Fall Griechenland zeigt das Beispiel Lettland, dass Europa entschlossen hilft, ist der politische Wille da: Mit fünf Mrd. Euro zahlt Europa zwei Drittel der Hilfe an Riga.

Größter Geldgeber – mit 3,1 Mrd. Euro – ist die Europäische Kommission. Die nimmt an den Finanzmärkten mit ihrem Rating Kredite auf und reicht sie an Lettland weiter. 2,7 Mrd. Euro haben die Balten seit Anfang 2009 so von der EU bekommen, die letzte Rate von 500 Mio. Euro am 12. März. Der Zinssatz dieser Kredite: jeweils 3,125 Prozent für die ersten 2,2 Mrd. Euro. Und 3,375 Prozent für die nun überwiesenen 500 Millionen.

Das Nicht-Euroland Lettland nutzt so das vergleichsweise hohe Vertrauen der Finanzmärkte in die Euro-Länder dank Brüssels Vermittlung für sich. Aus eigener Kraft wäre Lettland längst bankrott. Anfang Juni 2009 fanden lettische Staatsanleihen selbst zu angebotenen Zinssätzen von bis zu 12,5 Prozent keine Käufer.
Der Kredit aus Brüssel ist nicht die einzige Hilfe Europas. Die nordischen EU-Länder willigten ein, Lettland nochmals mit insgesamt 1,9 Mrd. Euro Krediten zu stützen. Nach WELT-ONLINE-Informationen übernahm Schweden 720 Mio., Norwegen und Dänemark jeweils 378 Mio. Euro. Finnland sagte 324 Mio. Euro zu, der baltische Nachbar Estland 100 Mio. Euro. Bis jetzt ist freilich nicht ein Euro dieses Geldes geflossen. „Ende 2008 einigten wir uns, dass EU und IWF mit ihren Raten beginnen und wir 2010 dazukommen“, sagt ein hoher nordischer Regierungsvertreter.

Auch das Geld des IWF – insgesamt 1,7 Mrd. Euro – ist für Riga konkurrenzlos günstig: Der wöchentliche neu festgesetzte Zinssatz liegt seit Beginn der Überweisungen aus Washington zwischen 2,11 und 2,67 Prozent. „Aktuell beträgt der Zinssatz für unsere Zahlungen an den IWF bei 2,54 Prozent“, erklärt eine Sprecherin der lettischen Staatskasse. Eine Mrd. Euro hat der IWF bislang ausgezahlt.

Die Auszahlung der einzelnen Kredittranchen hängt davon ab, ob die Letten ihre Finanzen so rigoros sanieren, wie es EU und IWF für nötig halten. Auch die Hilfe der nordischen Länder ist an diese Zustimmung geknüpft. Loben die IWF-Inspektoren im Mai oder Juni die Reformschritte in Lettland wie bei vorangegangenen Inspektionen, überweisen Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und Estland an Riga ihre ersten 550 Mio. Euro. Auch dieses Geld bekommt Riga zum Billig-Zinssatz. Das schwedische Finanzministerium verhandelt für alle nordischen Länder mit Riga. „Der Zinssatz wird sich an IWF und EU orientieren und bei drei Prozent liegen“, sagte eine schwedische Regierungsquelle.
Die Hilfe aus Washington und Europa rettet Lettland vor dem Staatsbankrott. Und sie spart dem Land Hunderte Millionen Euro, die es auf den Finanzmärkten sonst an höheren Zinsen für im eigenen Namen ausgegebene Anleihen ausgeben müsste. Das ist mittel- und langfristig ein wichtiger Beitrag zur Sanierung der lettischen Finanzen. Die ebenfalls vom Bankrott bedrohten Griechen bekommen dagegen von Europa keine günstigen Drei-Prozent-Kredite. Sie müssen mindestens 6,5 Prozent Zinsen auf ihre Anleihen bieten. Am Mittwoch stieg der Satz für eine griechische Zehn-Jahres-Anleihe sogar über sieben Prozent. Die Differenz zum Günstig-Zinssatz, der sich an deutschen Bundesanleihen orientiert, ist für Athen teuer und langfristig ruinös. Schon zum Jahresende 2009 buchte der griechische Kassenwart Schulden von knapp 300 Mrd. Euro – weit mehr als die bei 266 Mrd. Euro liegende Jahreswirtschaftsleistung. In diesem Jahr muss Griechenland 54 Mrd. Euro Kredite umschulden oder neu aufnehmen. Schon bevor die Zinsen in die Höhe schossen, kalkulierte Finanzminister George Papaconstantinou gegenüber der EU für 2010 nur für Zinsen 13 Mrd. Euro ein – mehr als für Bildung und Erziehung, Justiz und Polizei zusammen.

„Jeder Prozentpunkt Unterschied zu den drei Prozent der Bundesanleihen kostet uns jedes Jahr zusätzlich 300 Millionen Euro“, sagte der WELT ein hoher griechischer Regierungsvertreter. Das sind allein in diesem Jahr voraussichtlich weit über eine Mrd. Euro. Die hohen Zinsen lassen erschweren die von Brüssel und Berlin geforderte Sanierung der griechischen Staatsfinanzen.
Dass die Letten billiges Geld bekommen, aber nicht die Griechen, liegt an den vor allem auf Drängen Deutschlands durchgesetzten Regeln. Diese erlauben zwar die Ausreichung von – billigen – Notkrediten an EU-Länder, die nicht Mitglied der Eurozone sind. Nicht nur Lettland, auch Ungarn und Rumänien bekommen Geld aus Brüssel. Insgesamt hat die EU für Nothilfen an Budapest, Bukarest und Riga 15 Mrd. Euro festgeschrieben – maximal 50 Mrd. Euro sind erlaubt. Doch direkte Kredite an Schon-Euro-Länder wie Griechenland sind laut dem Vertrag von Maastricht verboten. „Wir können etwa den Letten nur deshalb helfen, weil sie den Euro bisher nicht haben“, sagt ein EU-Offizieller. Vordergründig öffneten die Staats- und Regierungschef der Euro-Länder mit ihrer Erklärung vom 25. März die Tür für Hilfe an Griechenland: Da erklärten sie sich prinzipiell bereit, Athen zusammen mit dem IWF zu helfen. Freilich werde Geld „nicht zu durchschnittlichen Zinssätzen des Euro-Währungsgebiets“ bereitgestellt und „kein Subventionselement enthalten“. Auf gut Deutsch: Billig-Zins-Kredite wie Lettland wird Griechenland nicht bekommen – jedenfalls nicht von Europa.

Wenn Athen überhaupt Geld bekommt, dann nur in Form bilateraler Kredite eines oder mehrerer EU-Länder. Jedes Land darf seinen Zinssatz gegenüber Athen selbst festlegen – freilich nur in Absprache und nach Genehmigung aller EU-Länder, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank. Das Prinzip der Einstimmigkeit kommt einem Vetorecht von Bundeskanzlerin Angela Merkel gleich, die vehement gegen leichtes Geld für Athen eintritt. Die Beistandserklärung von Brüssel hat internationale Anleger nicht überzeugt: Statt zu sinken, sind die Zinsen für griechische Anleihen weiter gestiegen.
Die Deutschen geraten mit ihrer Position zunehmend unter Druck. OECD-Generalsekretär Ángel Gurría forderte im Interview mit der „Welt am Sonntag“ kürzlich mit schwach verhüllter Kritik an Berlin eine „Hilfslösung, die die Zinsen für Athen nach unten bringt“. Ein hoher Regierungsvertreter eines EU-Landes wird deutlicher. „Es ist schon paradox. Wir helfen Nicht-Euro-Ländern wie Lettland mit billigem Geld, den Kopf über Wasser zu halten. Aber Griechenland verweigern wir dies. Der Grund ist einfach: Die Deutschen wollen es nicht“, sagte er WELT ONLINE. Das Bundesfinanzministerium wollte sich auf Anfrage nicht äußern.


http://www.welt.de/wirtschaft/article708...land-nicht.html

zuletzt bearbeitet 07.04.2010 21:14 | nach oben springen

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