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#1

Hilfe, die Russen kommen!

in -Letten-Forum- 06.04.2010 20:40
von Andris
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Sie kaufen Kitzbühel leer oder Fußballclubs auf, das sagt das Klischee über Russen. Doch sie können auch anders, die Landsleute des Ober-Anglers Wladimir Putin - Poker zum Beispiel. Dort sind die Russen schwer im Kommen. Auch Lasse König machte seine Erfahrungen mit der Poker-Perestroika.

Ich mag die Russen. Ihre Nationalhymne wirkt wie drei Baldriantabletten, aber es gibt kein schöneres Schlaflied auf der Welt. Ihr Ministerpräsident angelt mit nacktem Oberkörper in Sibirien, bei Fußball-Weltmeisterschaften fliegen sie regelmäßig früh raus. Und ich hatte Russisch in der Schule. Damals habe ich das bedauert, heute bin ich froh drüber. Wer weiß schon noch, was Sehenswürdigkeiten heißt? "Dostoprimeschtatjelnosti".

Ich mag die Russen auch, weil sie ihre eigene Geschwindigkeit haben. Statt mit der Zeit zu gehen, laufen sie der Zeit hinterher. Oder nein: sie rennen. Sie fingen in Person von Chelsea-Mogul Roman Abramowitsch an, Fußballvereine zu kaufen, als das Mäzenatentum schon als veraltet galt. Sie kauften Kitzbühel leer, als es schon lange nicht mehr so schick war wie noch zu Franz Beckenbauers Spielerzeiten. In Lettland kauften sie sogar eine ganze Stadt. Obwohl da gar keiner mehr wohnte.

Mit den Russen ist es wie mit der Wettervorhersage. Oft kommt das Sturmtief später als gedacht, aber gewaltiger als befürchtet.

Im Poker ist das genauso. Dort findet von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet seit einiger Zeit so etwas wie eine Poker-Perestroika statt. Es muss in Moskau oder Tscheljabinsk oder Sankt Petersburg schon der Strom ausfallen, um im Internet nicht auf Russen zu treffen. Und an den Offline-Tischen dieser Welt sieht man sie auch immer häufiger. Einige von ihnen gelten mittlerweile als die gefährlichsten Spieler der Welt.

* Jewgeni Timoschenko, genannt "der lustige Riese". Er sieht aus wie der Streber aus der zehnten Klasse, aber bei der World Poker Tour 2009 in Las Vegas lachte er sie alle aus. Das WCOOP Main Event gewann er auch, er darf sich seither Online-Pokerweltmeister nennen. Körperlich ist er übrigens eher klein.
* Alexander Krawtschenko will man weder am Pokertisch noch nachts in einer dunklen Seitenstraße begegnen. Kein Russe hat mehr Geld gewonnen als Krawtschenko, beim WSOP Main Event 2007 wurde er Vierter. Der Mann mit dem Faible für Flieger-Sonnenbrillen ist so selbstbewusst, dass er nicht mal einen Spitznamen braucht.
* Vitali Lunkin sieht ein bisschen aus wie der Boxriese Nikolai Walujew in klein, aber der Schrat gilt in der Szene mittlerweile selbst als Schwergewicht. Lunkin gewann das 40.000-Dollar-Event bei der WSOP 2009.
* Maxim Lykow ist das vielleicht größte Talent. Bei der EPT in Kiew machte er einen Call mit König hoch und gewann am Ende das Turnier. Pokerprofi Daniel Negreanu flippte am Mikrofon aus. Als er gefragt wurde, gegen welche Nation er besonders ungern antreten würde, wand sich der Kanadier zunächst, dann sagte er: "Die Russen werden immer besser."

Sie hätten auch mich fragen können.

Ein 60-Mann-Turnier am Rande von Hamburg, es ist Mitte März. Links neben mir sitzt ein junger Mann, er hat blonde kurze Haare und einen Wollpullunder mit V-Ausschnitt an. Drunter trägt er ein Hemd, das in einer grauen Bundfaltenhose steckt. Genau so hätte ich bei der Abifeier ausgesehen, wäre es nach meiner Mutter gegangen. Aber ich konnte mich durchsetzen, jedenfalls in Bezug auf die Bundfaltenhose.

Kindersitze hinten, vorne "Cannibal Corpse"

"Raise" ist das erste, was der junge Mann an diesem Tag sagt. Er rollt das R, er spricht nicht gut deutsch, aber er sagt mir später, dass er Jurij heißt. "Menja sawut Lasse", sage ich. Er grinst. "Gawarisch po Russkij" fragt er? Äh, ein bisschen, sage ich und raise im Small Blind mit Ass Zehn. "All in", sagt Jurij und grinst. Ich folde und grinse nicht.
Dieser Schulbube ist ein Paradoxon. Er sieht aus wie ein Klosterschüler, aber spielt wie ein schwer Erziehbarer. Er hat jede Hand gespielt und noch keine einzige gezeigt. Jurij ist bei weitem der aggressivste Spieler, dem ich je begegnet bin. Und dabei äußerlich der sanfteste. Ich muss unwillkürlich an diesen Typen denken, der letztens an der Ampel neben mir stand. Zwei Kindersitze hinten und vorne die fiesen Death-Metaller "Cannibal Corpse" im CD-Player.

Ist das die neue russische Schule? Oder Wahnsinn? Oder einfach nur ein herausragendes Gefühl für die Stimmung am Tisch? Als ich die Asse im Small Blind bekomme und raise, wirft er zum ersten Mal weg.

Ich werde am Ende Siebter, Jurij ist da schon auf dem Weg nach Hause. Er hatte mit Ass hoch ein All in nach dem Turn gecallt und die beste Hand gezeigt. Leider traf sein Gegner am River eine 8 und Jurij war draußen. Er hat zwar nicht gewonnen, aber Eindruck hinterlassen.

http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,687017,00.html

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